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Der Un-Sinn der Ernährungspyramide

https://web.de/magazine/ratgeber/essen-trinken/gesunde-ernaehrung-tipps-helfen-33184698

Sinnvolle Ernährungstipps statt unsinnige Pyramiden bauen!

Herr Aichinger, es kursieren unzählige Ernährungsratschläge, manche davon sollen nur für bestimmte Menschentypen gesundheitsfördernd sein. Gibt es einfache Tipps, die pauschal für jeden gut sind?

Daniel Aichinger: Grundlegend halte ich nicht sehr viel davon, Menschen in Typen einzuteilen. Individualität finde ich viel reizvoller – auch bei der Ernährung. Dennoch gibt es zwei Tipps, die für fast jeden gelten. Sie sind verblüffend einfach: reichlich stilles Wasser trinken und Gemüse als Hauptnahrungsmittel verwenden – und dieses gut kauen.

Wasser ist der Hauptbestandteil unseres Körpers, ist an jedem Stoffwechselvorgang im Körper beteiligt, ist Lösungsmittel für Vitamine und Mineralstoffe und als Hauptbestandteil des Blutes auch Transportmittel für alle anderen Nährstoffe.

Mit Gemüse kann man fast den kompletten Bedarf an Nährstoffen im Körper abdecken. Es enthält zudem viel natürlich mineralisiertes Wasser. Wenn wir unser Gemüse dann noch gut kauen und dabei einspeicheln, feiert unsere Verdauung eine Party, weil wir es ihr so schön leichtmachen.

In der Schule wurde uns noch die Ernährungspyramide beigebracht, nach der Getreideprodukte wie Brot und Nudeln den mit Abstand größten Teil unserer Ernährung ausmachen sollen.

Oh ja, die Ernährungspyramide hatte ich fast schon wieder vergessen, aber sie ist hartnäckig und gibt nicht auf.

Diese Pyramide ist eine Erfindung aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und ist Antwort auf eine rein volkswirtschaftliche Fragestellung: Wie können wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unsere Bevölkerung möglichst günstig sättigen und einigermaßen gesundhalten?

Dann ist es nachvollziehbar, dass auch Getreide als gut verfügbare, günstige, schnelle Energiequelle in die allgemeinen Empfehlungen für die tägliche Ernährung gehört.

Dass der Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen jedoch von Faktoren wie Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Lebensstil abhängt und höchst individuell ist, kann bei solch einer Betrachtungsweise verständlicherweise keine große Erwähnung finden.

Sollte man also auf Getreide – oder dem Low-Carb-Trend folgend sogar auf Kohlenhydrate im Allgemeinen – eher verzichten?

Außer gegen die meisten Weizenzüchtungen, die erwiesenermaßen nicht mehr gesund sind, habe ich grundlegend nichts gegen Getreide, solange es eben nicht 30 Prozent und mehr der Nahrung ausmacht. Dann wirkt es nämlich in aller Regel säuernd auf den Körper.

Ab und an eine gute Scheibe Vollkornbrot, zum Beispiel von zuvor gekeimtem Getreide, ist klasse. Jeden Tag Pasta und Marmeladentoast nicht.

Kohlenhydrate sind im Allgemeinen besser als ihr Ruf. Es kommt darauf an, möglichst wenig isolierte Kohlenhydrate zu essen, also solche, die keine oder kaum noch Ballaststoffe, Enzyme, Mineralstoffe und Vitamine enthalten. Das sind unter anderem Zucker, Weißmehl und polierter Reis.

Nimmt man seine Kohlenhydrate zum Beispiel als Gemüse, Kartoffeln und Süßkartoffeln, Quinoa, Buchweizen oder Hirse zu sich, dann liefern sie über eine längere Zeit gleichmäßig Energie und haben noch einige gesunde Mineralstoffe und Enzyme im Gepäck.

Auf diese Weise vermeidet man dann auch Blutzuckerspitzen und -täler, Hormonschwankungen und in der Folge auch Heißhungerattacken und durch die Ernährung ausgelöste Entzündungskrankheiten.

Tierische Eiweiße haben derzeit ebenfalls einen schlechten Ruf.

Sie haben tatsächlich einige Nachteile, sind zum Beispiel im Übermaß genossen ebenfalls säuernd und entzündungsfördernd – insbesondere stark arachidonsäurehaltige Fleisch- und Geflügelsorten wie Schwein, Ente, Kalb, Truthahn.

Allerdings haben tierische Eiweiße im Vergleich zu pflanzlichen Eiweißen auch einen Vorteil: Sie bieten uns nämlich die bessere sogenannte "biologische Wertigkeit".

Das bedeutet, dass das Aminosäureprofil von Fleisch eher dem Bedarf des Menschen entspricht als das von Pflanzen. Ist auch logisch: Pflanzen bilden aus Proteinen Blätter, Tiere bilden wie wir Menschen Muskeln und so weiter.

Meine allgemeine Empfehlung lautet deswegen: Wenn überhaupt tierische Eiweiße, dann selten und in möglichst guter Qualität. Freitags Fisch, mal einen Sonntagsbraten und ab und an ein Ei, das vom Huhn freiwillig gelegt wurde, das ergibt schon Sinn.

Die ethische Frage, ob Fleisch, insbesondere aus Massentierhaltung, ein Produkt ist, das man kaufen möchte, sollte sich jeder selbst stellen und beantworten.

Viele beklagen, dass die auf einen hohen Ertrag gezüchteten Obst- und Gemüsesorten unseren Nährstoffbedarf nicht mehr ausreichend decken. Ist das tatsächlich ein Problem?

Ich denke ja. Gemüse und Obst wird auf Größe und Farbe gezüchtet, damit es prall ausschaut und strahlt. Dabei bleiben Mineralstoffe, Vitamine und insbesondere auch Bitterstoffe, die nicht unserem Geschmack entsprechen, aber wichtig für die Gesundheit sind, auf der Strecke.

Gerade konventionelle Produkte stammen zudem oft aus zunehmend mineralarmen, pestizid- und herbizidbelasteten und überdüngten Böden. Insofern ist gesunde Ernährung auch immer mehr eine elitäre Angelegenheit, denn nicht jeder kann oder will sich Gemüse aus biologisch-dynamischem Anbau leisten.

Welche typischen Probleme begegnen Ihnen in der Praxis noch häufig bei modernen Großstadtmenschen?

Wie viel Zeit haben wir?

Offenbar nicht genug ...

Gut, dann werde ich kurz und knapp noch zwei weitere Tipps los: Man sollte darauf achten, einen satten Vitamin-D-Spiegel und möglichst ein Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren von 3 zu 1 oder etwas weniger zu haben.

Das Immunsystem, die Entzündungswerte, die Haut und die Nerven-Augen-Hirn-und-Herzgesundheit werden das mit einigen guten, aktiven Jahren mehr belohnen.

Zum Abschluss die Frage: Wie eisern muss man sich an Ernährungsregeln halten, um gesund und fit zu bleiben?

Gar nicht eisern. Das Leben ist doch viel zu kurz für irgendwelche Dogmen. Was nützt uns ein getunter Körper, den wir mit verkniffener Miene durch die Gegend tragen?

Es ergibt allerdings Sinn, die eigenen individuellen Ernährungsregeln gut zu kennen und zu verstehen – um sie dann bei geeigneten Gelegenheiten virtuos, schamlos und vor allem mit Genuss zu brechen. Unsere Ernährung muss zu unserem Leben passen, nicht andersherum.

Meinen Klienten rate ich regelmäßig, sich bewusst zu entscheiden, was sie essen, damit sie weder Verzicht noch Reue empfinden.

Wer seine Ernährungsgewohnheiten nachhaltig ändern will, sollte dies meiner Erfahrung nach nicht zu sehr mit Willenskraft versuchen, die nach einer Weile verbraucht sein wird, sondern lieber mit Freude die graduellen Veränderungen angehen. Das muss ein authentischer Vorgang sein, bei dem man sich nicht zu viel auf einmal vornimmt.

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